KI Blues

Gastblogger 03.12.2024
Julian Angel Gastblogger

Wenn mitten auf dem Marktplatz eine geladene Schusswaffe liegt, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Zahlreiche Menschen haben doch schon in Vorträgen den verantwortungsvollen Umgang damit gepredigt. Okay, mag sein. Doch irgendeiner wird das Teil nehmen und damit eine Bank ausrauben, um sich das Geld zu holen, für das andere sehr lange arbeiten mussten.
Passt die Allegorie, oder ist sie zu extrem?
Irgendjemand wird sich der künstlichen Intelligenz bedienen, um in einem Bruchteil der Zeit ein Vielfaches dessen zu kreieren, wozu Normalsterbliche im Stande sind. Erst vor kurzem hat mir jemand erzählt, wie ein Spezl täglich zwei Top Songs „heraushaut“ – mit KI.

Aufhalten werden wir das ganze nicht. Aber auch die Industrie wird dem keinen Riegel vorschieben können, so wie sie es sich aktuell noch erträumt. Uploadfilter und so weiter. Vergütung der Originalstimmen. Gib mir einfach kurz Gelegenheit, ein paar dieser Mythen zu kommentieren. Vielleicht verleitet es doch noch ein paar wenige zum Nachdenken. Falls ich falsch liegen sollte, freue ich mich tatsächlich.

KI ist nur da, um den Workflow zu ergänzen

Vielleicht haben wir beide noch genug Stolz, um es bei der Suche nach Reimwörtern zu belassen. Irgendjemand wird aber wie ein multiinstrumentales Genie Darbietungen abliefern, die unsere in den Schatten stellen werden. Und dann wird man uns sagen „Hey, nimm Dir mal ein Beispiel an dem da. Der Hammer!“ Und der wird immerhin lange genug den Schein aufrecht erhalten können, um sich ein geiles Leben zu machen.

KI kann echte menschliche Emotionen nicht ersetzen

Das stimmt. Aber wen interessiert es? Wenn ich versehentlich beim typischen Formatradio mit Nachmittagsgewinnspielen vorbeischalte, höre ich kaum noch Musik mit echten Instrumenten, jedenfalls nicht im Tagesprogramm. Und die Gesänge sind nicht selten bis zur Unmenschlichkeit hin bearbeitet. Und ganz ehrlich, bevor ich selbst Musik gemacht habe, hatte auch ich einen Drumcomputer für ein echtes Schlagzeug gehalten. Lange hat es gedauert, bis ich wusste, wer Doktor Avalanche ist. Und ich beginne wieder mit „und“: Und in vielen Fällen müssen wir schon jetzt unsere akustischen Musikproduktionen an der Klangqualität virtueller Instrumente messen lassen.

KI generierte Musik ist in Bezug auf Copyrightverstöße riskant

Die künstliche Intelligenz „komponiert“ genau wie wir auch, sie setzt altes Gehörtes neu zusammen. Zwei Töne von dem einen Song, drei von dem anderen, kombiniert mit der Rhythmik weiterer Musikstücke, und irgendwann wird man nicht mehr erkennen können, woran sie sich bedient hat. Und wo kein Kläger, dort auch kein Richter. Würdest Du bemerken, wenn jemand bei Dir geklaut hat? Gibt es eine Datenbank mit allen bisher veröffentlichten Aufnahmen, mit der automatisch regelmäßig abgeglichen wird?

KI wird von Uploadfiltern erkannt

Einige Digitalvertriebe arbeiten an Filtern, die angeblich künstlich-intelligent generierte Musikaufnahmen erkennen sollen, um solche Titel dann abzulehnen. Mag vielleicht sein, dass dies bei einigen zu hundert Prozent künstlich generierten Songs funktioniert. Doch was, wenn nur die Basis künstlich ist und der Rest von Hand dazugespielt wurde? Oder wenn KI den fertigen Song ausgespuckt und der „Musiker“ ihn noch einmal selbst nachgebastelt hat?

KI generierte Musik kann man nicht live spielen…

… weil viele ihrer Kreatoren gar kein Instrument spielen können. Ja und? Auch heute schon sind DJs für viele die günstigere mit weniger Logistik und Personal verbundene Alternative. Und wenn Menschen schon einem von KI geschaffenen Model hinterherlaufen und es für Aufträge buchen, dann werden sie sich auch bald Leinwandshows und Hologramme ansehen und ihnen ihre Unterhosen auf die Bühne werfen. Oh halt, gibt es das nicht schon in Fernost?

Es gibt Vergütungen für gefakte Originalstimmen

Allmählich entstehen Gesetze, welche die Rechte an der eigenen Stimme schützen sollen („ELVIS Act“). Doch wie niedrig wird die Vergütung für diejenigen ausfallen, die ihre Stimme frei- oder unfreiwillig hergegeben haben? Auch dazu bräuchte es eine Stimmendatenbank, mit der wiederum abgeglichen wird, und die trotz aller Effekthascherei verlässlich identifiziert. Kann auch identifiziert werden, wenn jemand wie bei einem Synthesizer mehrere Stimmen übereinandergelegt hat? Erneut kommt die Frage auf: Würdest Du es mitbekommen, geschweige denn erkennen, wenn Deine Stimme plötzlich einen fremden Song singt? Bestimmt nicht, wenn sie von einem Songwriter gekapert wurde, der lediglich eine schönere Stimme für ein Demo haben wollte (während Du noch einen echten Sänger oder eine Sängerin dafür bezahlst).

Ich selbst habe keine Angst vor künstlich generierter Musik. Ich habe allerdings meine Bedenken davor, wenn viele „Musiker“ sie vollumfänglich nutzen und ihre Abnehmer sie irgendwann akzeptieren werden. Dann werde ich mit dem Produktionstempo nicht mehr mithalten können, hinzu kommt, dass durch künstliche Massenproduktion der Preis des fertigen Produktes gewiss nicht steigen wird.

Aktuell verklagt die Recording Industry Association of America (RIAA) die KI-Musikgeneratoren Suno und Udio auf Urheberrechtsverletzung (Juni/Juli 2024). Schließlich sei deren künstliche Intelligenz mit Hilfe des Musikkatalogs der von der RIAA repräsentierten Labels trainiert worden und rufe folglich ständig Elemente der darin enthaltenen Songs ab, um sie neu zusammenzusetzen. Der Definition nach dürfte die RIAA hier richtig liegen. Auch die GEMA hat als weltweit erste Verwertungsgesellschaft Klage gegen OpenKI wegen Urheberrechtsverletzungen erhoben.

Sorry, falls ich Dir den Tag versaut habe. Trotzdem Kopf hoch!! 🙂
Viele Grüße,
Julian Angel
vom Magazin musicbizmadness

 


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